DIVING WITH CHOIRS 18.01. – 15.02. 2015
www.ronnylischinski.blogspot.com
Mythen sind imstande, dem Leben eine höhere Bedeutung zu
verleihen und metaphysisch Kraft zu spenden. Den von Technik
und Ökonomie zerstreuten Geist können sie wieder in ein ganzheitliches
Verhältnis rücken zu den elementaren, rätselhaften
Kräften der Natur. Und so erzählt Nietzsche in seiner „Geburt der
Tragödie“ vom Unglück der modernen Künste, „nicht aus solchem
geheimnisvollen Quell entflossen zu sein“. Statt aus dem
Unbewussten zu schöpfen, tendierten sie zu sozialem Engagement,
um die Realität zu bedienen. Der Logos löst das Pathos ab:
Eine Entwicklung, die die Kunst in den Dienst des Materialismus
stellt – und den Menschen noch weiter von sich selbst entfernt.
Dieses Phänomen lässt sich problemlos auf einen Großteil der
Kunst unserer Zeit übertragen.
Ronny Lischinskis Bilder gehören zu den Ausnahmen. In ihrer ruhigen,
gedämpften Stimmung, die einer Atempause oder dem
Neuanfang nach einer Katastrophe gleicht, entsprechen sie nicht
unmittelbar unserer Vorstellung von „Pathos“ – doch sie gehen
auf ein Verständnis des Künstlers für das Tragische zurück. Seine
diffusen, halbabstrakten Landschaften und Figurenfragmente
verströmen eine Faszination für das Fremdartige, wie sie sich
beim Betrachten des Sternenhimmels oder Unterwasserwelten
einstellt. Und tatsächlich wirken seine Motive wie nicht von
dieser Welt: Rundliche Formen schweben in dunklen, nebligen
Räumen. Sie erinnern an Schatten von Köpfen oder Schädeln, an
außerirdische Wesen, Wolken und Planeten. Oft kommen sie als
leere Sprechblasen daher, die in wüstenartigen Gegenden schweben:
Der alltäglichen Geschwätzigkeit setzen sie ein Schweigen
entgegen, das sich in elementarer Harmonie auflöst. Es ist, als
habe der Kugelmensch wieder zu sich selbst gefunden. Von der
simplen Illustration eines Mythos‘ ist Lischinski allerdings weit
entfernt. Er kreiert Stimmungen, die archaisch, futuristisch und
surreal sind – und dabei jede Anleitung zu einem Thema vermeiden.
In den handlichen Kohlezeichnungen und größeren Ölgemälden
klingt stattdessen eine abgründige Atmosphäre an, die
Erdung und Öffnung zugleich verströmt. Durch eine Art sinnliche
Spiritualität verortet er den Betrachter in einem geistigen Raum,
der weit über das Bildformat hinausgeht.
Auszug aus Gesine Borcherdt: Endung und Öffnung