Eröffnungsrede
Boxi
BETWEEN A DREAM AND AN EXCUSE
15.08.10
(Es gilt das gesprochene Wort)
20. April 2010, Welt online
Auf der Ölbohrinsel „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko gibt es eine Explosion. Die meisten der 126 Arbeiter können gerettet werden, 11 bleiben vermisst.
22. April 2010, Welt online
Die brennende Bohrinsel sinkt. Zum Untergang trägt eine Serie technischer und menschlicher Fehler bei.
25. Mai 2010, www.focus.de
Fischer fürchten um ihre Existenz: Drei US-Bundesstaaten haben den Notstand für die Fischerei ausgerufen. BP hat indessen neue Pläne, um das sprudelnde Öl zu stoppen.
24. 05. 2010, www.focus.de
Ölpest: USA sperren Traumstände
Die Ölkatastrophe nach der Explosion der BP-Plattform schwappt nun über die US-Küste hinweg. BP und die US-Regierung scheinen hilflos.
Vogel-Brutgebiete sind von brauen, klebrigen Ölklumpen übersät. Verseucht sind sogar die Nester und Eier. Ein Pelikan wurde gefilmt, wie er verzweifelt versuchte, Öl an Federn und Beinen loszuwerden. Öl drang auch in die Sümpfe des Mississippi-Deltas ein. Experten: Die Reinigung ist dort „praktisch unmöglich“.
10. Juni 2010, Welt online
Allein in Louisiana haben inzwischen mehr als 70 Menschen ärztliche Hilfe gesucht – wegen Übelkeit, Kopfschmerzen, entzündeten Augen und Atembeschwerden. Mindestens 1100 ölverschmierte Vögel wurden gefunden, der größte Teil von ihnen tot.
23.Juli 2010, Focus online
Tropensturm „Bonnie“ wirbelt Zeitplan durcheinander
Wegen dem Tropensturm „Bonnie“ haben alle Arbeiten am Ölleck im Golf von Mexiko beendet werden müssen. Alle Schiffe, von denen aus die Entlastungsbohrungen gemacht werden, wurden abgezogen. Dadurch verzögern sich die Arbeiten am Verschluss des Öllecks, das die Ölpest in den USA verursachte, um bis zu zwölf Tage.
27.07.2010, Focus online money
Hayward tritt zurück – BP mit Milliardenverlust
Svandberg würdigte Haywards Verdienste um das Unternehmen und äußerte sich „tief betrübt“ über seinen Abgang.
Der wird dem 53-Jährigen mit der Nominierung für einen Aufsichtsratsposten bei TNK-BP und mit einem Jahresgehalt von 1,045 Millionen Pfund (1,26 Millionen Euro) versüßt. Auch behält er seine Aktienoptionen aus einem Bonusprogramm, die etliche Millionen wert sein können, wenn sich der seit dem Unglück um 40 Prozent eingebrochene Kurs wieder erholt. Dazu kommen Pensionsansprüche von rund 700.000 Euro jährlich.
Greenpeace protestiert
Mit Demonstrationen an Londoner Tankstellen und vor der BP-Zentrale in Bochum protestierte Greenpeace gegen die ökologische Bilanz des Ölkonzerns. 100 Tage nach Beginn der Katastrophe im Golf von Mexiko werde immer deutlicher, dass Ölbohrungen in der Tiefsee nicht beherrschbar seien und BP nichts aus dem Desaster gelernt habe, kritisierte die Umweltorganisation. BP müsse seine Unternehmensstrategie umkrempeln und sich von der Tiefseeförderung verabschieden.
29. Juli 2010, ZEIT ONLINE
Millionen Liter Öl ausgelaufen – Michigansee bedroht
Den USA macht eine neue Ölpest zu schaffen: In der Ortschaft Marshall im Bundesstaat Michigan ist am Montag eine Pipeline gebrochen. Inzwischen sind mehr als drei Millionen Liter Öl in den kleinen Fluss Talmadge gelaufen. Ein Teil davon floss wiederum in den Fluss Kalamazoo, der in den Michigansee mündet. Damit ist einer der fünf Großen Seen Nordamerikas von einer Umweltkatastrophe bedroht.
29. Juli 2010, n-tv.de
Satte Gewinne im Öl-Geschäft Shell steht voll im Saft
31. Juli 2010, Welt online
Laut des Gouverneurs von Louisiana sei eine 30 Meter hohe Ölfontäne aus dem Leck geschossen, es sei aber unter Kontrolle.
31. Juli 2010, WELT ONLINE
Falscher Zement führte zur Öl-Katastrophe
Der Konzern sparte Zeit, Geld sowie die Sicherheit der Meere. Experten enthüllen, wie es zur Explosion der Bohrinsel „Deepwater Horizon“ kommen konnte.
31. Juli 2010, SF Tagesschau International
Das US-Repräsentantenhaus hat angesichts der verheerenden Ölpest im Golf von Mexiko schärfere Regeln für Tiefseebohrungen verabschiedet. Ein ähnliches Gesetz wird auch im US-Senat beraten.
Nach dem Untergang der Bohrinsel «Deepwater Horizon» des britischen Energiekonzerns BP war seit Mitte April fast drei Monate lang Öl in den Golf von Mexiko geströmt. Erst Mitte Juli war es BP gelungen, den Ölfluss zu stoppen. Die Abdichtung ist jedoch nur eine Zwischenlösung. Der endgültige Verschluss der lecken Ölquelle mit Hilfe von Schlamm und Zement soll bis Mitte August erfolgen.
„Peace, Joy ’n‘ Pancakes“
Der politische Zusammenhang zwischen den Ausstellungsobjekten und den Schlagzeilen wird vor allem mit dem Werk „Peace, Joy ’n‘ Pancakes“ deutlich. Wir haben ein Seebild vor uns, dessen Grautöne bei ungenauem Hinsehen dem Betrachter Unwetter assoziieren lässt. Haben die Romantiker für sich das Erhabene in der Natur entdeckt , es in ihren Abbildungen gewürdigt und mit entsprechenden Stilmitteln hervorgehoben, so entsteht hier der Bruch und wir sehen ein politisches, auf die Realität bezogenes Werk. Ähnelt die Stimmung im ersten Moment vielleicht der des Gemäldes „Der Mönch am Meer“ von Caspar David Friedrich, so wird schnell deutlich, dass es sich hier nicht um eine Naturerscheinung handelt, sondern eine Katastrophe, hervorgerufen durch den Menschen. Wir sehen auf der linken Seite ein Objekt, eingehüllt in dunklen Rauchschwaden. Die beiden Löschschiffe lassen uns wissen, dass hier ein Feuer gelöscht wird. Die Assoziation zur Bohrinsel „Deepwater Horizon“ liegt für den Betrachter nahe und ist von dem Künstler beabsichtigt. Die bis ins Schwarze gehenden Rauchschwaden auf der rechten Seite des Bildes verstärken die unheimliche und beängstigende Wirkung des Werkes.
Wir haben es hier mit einer Form der gegenständlichen Malerei zu tun, die mit ihrem Realitätsbezug eine deutliche, allgemein verständliche Sprache führt. Es geht nicht um die Gefühlswelt des Einzelnen, des Individuums, sondern um Situationen und Umstände, deren katastrophale Ausmaße alle Lebewesen bedrohen. Der Mensch als Verursacher tritt auf diesem Gemälde nicht in Erscheinung – als ob sich die Zerstörung ohne den Menschen verselbstständigt hat. Damit wird nicht nur das Bedrückende der Situation, sondern auch unsere Hilflosigkeit wieder gespiegelt.
„Good Morning Mr. Nicolson“
Realistische Kunst ist nicht zu verwechseln mit Fotographie oder detailgetreuer Malerei. Sie werden gleich hören und sehen, was es mit diesem Satz auf sich hat.
Wenden wir uns dem Bild „Good morning Mr. Nicolson“ zu. Mr. Nicolson alias Boxi nimmt mit dem Titel direkten Bezug auf Courbets Bild „Die Begegnung“ oder “Bon jour Monsieur Courbet“.
Courbet ist der (selbst ernannte) Gründer der Stilrichtung ‚Le Realismè’. Obwohl ihm als erfolgreicher Maler vertraglich die Ausstellung seiner Bilder im Salon zugesichert wurde, lies die Jury zur Weltausstellung 1855 in Paris drei seiner heute bekanntesten Werke nicht zu:
– ‚Das Atelier’
– ‚Das Begräbnis von Ornans’
– ‚Das Bildnis Champfleurys’
Aus Protest errichtete Courbet seinen eigenen Pavillon in der Nähe des Ausstellungsgeländes mit einem großen Schild über dem Eingang: `Pavillon du realismè’
Damit war zwar ein neuer Begriff für eine Stilrichtung geboren, jedoch nicht eine neue Art der Malerei. Den wirklichkeitsnahen oder -getreuen Effekten haben sich schon Maler in der Vergangenheit bedient. Denke man an Goyas Gemälde der königlichen Familie Karls des IV (1800). Eine von den unzähligen äußerst kritischen wirklichkeitsnahen Darstellungen. Es handelt sich bei diesem Familiengemälde um eine nicht eben schmeichelhafte Wiedergabe der einzelnen Akteure. Gassier/Wilson sprechen von einem „unbarmherzigen Realismus“.
Courbet erhob jedoch den Anspruch, als erster die Darstellung der Wirklichkeit, die aus sich selbst heraus, unkommentiert Kritik übt, zu einer stilistischen Form mit überprüfbaren Merkmalen:
Courbets Rede in Antwerpen anlässlich des Künstlerkongresses kennzeichnet Courbet das Wesen realistischer Kunst als einer künstlerischen Methode, die durch drei Momente bestimmt ist:
– Ablehnung des Ideals
– Anerkennung der Prinzipien politischer Philosophie
– Politische Zielsetzung
Zunächst muss „Die Begegnung“ (Bon jour Monsieur Courbet) im Kontext zweier weiterer Gemälde Courbets betrachtet werden. „Die Rückkehr aufs Land“ von 1852 stellt Courbet selbst, als einen freien, wilden, den Konventionen den Rücken kehrenden Wanderer dar, der die Natur und das ländliche Leben als seine Heimat begrüßt. Mit der Geste des schwenkenden Hutes wird dieser Gruß bestätigt. Der „Prügel“ (Wanderstab), den der Wanderer über der Schulter trägt, war für die damalige bürgerliche Gesellschaft und die gehobenen Schichten eine Bestätigung, die Landbevölkerung als Urheber sozialer Unruhen zu sehen. Von der zentralen Regierung verdächtigt wurde besonders die Landbevölkerung überwacht. Das Gemälde „Die Rückkehr“ hat somit etwas Provozierendes, während das Gemälde „Bonjour…“ den vermittelnden Aspekt einbezieht, ohne jedoch Anpassung evozieren zu wollen. Vielmehr hat sich Courbet als Kosmopolit und Regionalist verstanden, der sich nach eigener Aussage, einer Doppelstrategie bedient, die in sich keinen Widerspruch birgt. Auf seinen Gemälde Bonjour Monsieur Courbet vereint Courbet den bäurisch, wilden, widerständischen mit dem versöhnenden Menschheitsführer, der seine Botschaft friedlich und über die Grenzen verbreitet. Diesen friedfertigen Botschafter hat Courbet auf einem vorangehenden Gemälde als „Der Apostel Jean Journet bricht auf zur Verbreitung der universellen Harmonie“ dargestellt.
Auch von dem Gemälde „Bon jour Mr. Nicholson“ geht keine Aggression von den Protagonisten aus. Die Grautöne lassen das Bild düster, ja bedrohlich wirken und auch das Licht am Horizont strahlt nicht unbedingt Wärme aus, dennoch nehmen wir die unheimliche Ruhe war. Die Unheimlichkeit wird von den Figuren Vater und Kind bzw. Boxi mit seiner Tochter verstärkt. Der Rucksack steht für den Wanderer, das Kind für Schutz, Geborgenheit und Frieden. Die Drohne am Himmel steht für die gezielte Überwachung und Bedrohung eines politisch militärischen Systems. Die Weite, hervorgerufen durch Grautönung, Horizont und Lichtspiel lässt die beiden Wesen vereinzelt und schutzlos, der gezielten Überwachung ausgeliefert erscheinen. Die Drohne ruft uns nicht nur den Begriff der Überwachung durch das Militär in Kriegssituationen in das Bewusstsein; die Figuren von Vater und Tochter führen uns das Alltägliche dieses Überwachungszustandes im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen. Denken wir an das Internet mit Google Street, den vielen Überwachungskameras in den Städten, die aufgeweichten Datenschutzgesetze und Persönlichkeitsrechte.
Die fast harmonische Wirkung des Bildes irritiert zunächst, lässt den Betrachter verweilen – inne halten und die Beklemmung die wir spüren, die im Gegensatz zur Tiefenwirkung und damit Weite des Bildes steht, sich ausbreiten.
„The Embrace – Die Umarmung“
Ich möchte an dieser Stelle überleiten zu dem Bild „Die Umarmung“. Boxi nimmt hier auf ein relativ frühes Werk Picassos „El abrazo“ (1903) bezug. Mehrere Skizzen lässt Picasso schließlich in einem Pastell gipfeln. Diese Umarmung von Mann und Frau drückt Verzweiflung aus. Ihre Nacktheit zeigt nicht nur Empfindsamkeit sondern auch Verletzbarkeit. Die Figuren bilden zusammen eine geschlossene Form, die mit den verschlungenen Oberkörpern in einem Rundbogen mündet. In ähnlicher Pose stellt Boxi seine Figuren dar.
Die Haltung bis zu den Beinen (Standbein/Spielbein der rechten Figur). Nur die Oberkörper sind in ihrer Umarmung diametral. Der Arm der Linken Figur legt sich schützend auf den Hinterkopf der rechten. Die Schutzanzüge lassen die Figuren fast zu einer kompakten Einheit verschmelzen. Eingehüllt in dem knittrigen Material wirkt auch diese Umarmung verzweifelt und löst beim Betrachter Unbehagen aus. Die Schutzanzüge betonen eher die Fragilität der Personen, die sie verbergen und unterstreichen die hier nicht greifbare und doch so existente Bedrohung, verstärkt durch die Farbgebung und Tiefenwirkung des Hintergrundes.
„Zeitkapsel – Time Capsule TC15082K10“
Unter dem Begriff Time Capsule findet man unzählige Angebote technischer Geräte (drahtlose Festplatten mit Basisstation und Dualband – Unterstützung zur Sicherung deiner Erinnerungen bis hin zur Zeitkapsel, die 1992 mit Gegenständen von Kindern gefüllt wurde, die Ihnen wichtig erschienen und die im Jahre 2042 wieder geöffnet werden soll. Diese Zeremonie fand in den Nickelodeon Studios bei den Universal Studios in Orlando, Florida statt. Samenbanken sind in gewisser Weise auch Zeitkapseln – sichern sie doch den botanischen Bestand über Jahrhunderte hinweg – von diesen hat der Künstler sich schließlich u.a. zu seiner Time Capsule anregen lassen.
Bei Boxis Zeitkapsel geht es weniger um den eher harmlosen Wunsch, die Nachwelt mit den Ideen von heute zu beglücken oder sich technische Erinnerungshilfen zuzulegen. Ganz in den Kontext der Ausstellung eingebettet, werden wir mit dem Katastrophenfall konfrontiert. Hier geht es um das Überleben. Der Künstler hat bis ins Detail geplant, welche Gegenstände notwendig sein können im Falle des Überlebens eines apokalyptischen Szenarios.
Auch wenn sich mit diesem Werk der Wunsch nach überleben ausdrückt und eine detaillierte Planung erfolgt ist, so haben wir es doch mit Vorstellungen zu tun, die sich auf ein Nachher beziehen. Diese Vorstellungen finden mit Sicherheit Nahrung im Nachher der weltweiten Katastrophen, die vermehrt auf Umweltschäden bzw. Klimawandel zurückzuführen sind.
Damit schließt sich der Kreis in dieser Ausstellung. Wir erleben hier nahezu sinnlich die Ausmaße der Umweltzerstörung als Hybris der Menschheit. Der Wunsch zu leben entwickelt sich zum Überlebenswunsch.
Hier wird eine Zeitkapsel gepackt, wie ein großer Koffer. Wohin die Reise geht weis niemand so genau – Hauptsache Überleben!
Diese Ausstellung führt uns Aspekte der Wirklichkeit vor Augen, die wir häufig nur in der bildhaften Distanz der Medien erleben. Diese Distanz wird hier aufgehoben; wir können uns nicht entziehen. Wir finden uns wieder zwischen Traum und Ausrede.
Dem Betrachter wird mit ungeheurer Wucht deutlich gemacht, dass er in der Zukunft schon längst angekommen ist. – Hauptsache Überleben?
© Dr. Sven Nommensen